Im leisen Verschwinden der Landschaft
Das Dilemma fängt mit der Technik an: Der Media Player verkündet „Unbekannter Interpret“. Von wegen! In der DDR war Falkenberg, bürgerlich Ralf Schmidt, ein Star und für nicht wenige Ostdeutsche bleibt der gebürtige Hallenser einer der bedeutendsten Musiker der Gegenwart. KI, bitte übernehmen Sie!
Vor Jahren habe ich ihn zum Thema „Ostrock“ interviewt. Er regte sich über den Begriff furchtbar auf. Weil: „Es gibt auch keinen Nord- und keinen Südrock.“ Noch mehr ärgerte er sich damals über Musiker, die seit Jahrzehnten ihre immergleichen Schnulzen spielen. Mit Kunst habe das nichts zu tun, Musik verlange Kreativität. Die hat er zu bieten. Ohne seinen Stil aufzugeben, überrascht er immer wieder mit neuen Aspekten. Als Produzent, Poet und Sänger.
Seine Lieder seien vielen Menschen zu anstrengend, sagt er selbst sinngemäß. Er kann damit umgehen, er kennt diverse Tiefen des Lebens. Im Radio hört man ihn selten, noch seltener seine neuen Lieder. Er macht weiter, weil er nicht anders kann. Gut so!
Das aktuelle Album beginnt mit dem rockigen Instrumental „Himmel in Scheiben“. Das klingt mit alarmierenden Gitarren so wie es heißt. Den titelgebenden Song „Im leisen Verschwinden der Landschaft“ könnte man auf das verschwundene Land beziehen, muss man aber nicht. Es könnte ebenso ein Liebeslied sein. Falkenberg ist ein politischer Mensch. Er beobachtet, beschreibt und fragt. Thematisiert Hunger und Krieg, Klimakrise, Kindersoldaten, Armut, Unangepasstheit, Verletzlichkeit und natürlich die Liebe. Das alles ohne jedes Reizwort. Akzentuiert mit Violine, Cello oder Piano.
Mein Favorit der zwölf Stücke heißt „Fallen oder Fliegen“. Zitat: „Ich hör sie immer noch sagen, du solltest besser lernen, mit den Skrupellosen zu paktieren und wie sie zu sein. Ich hör sie immer noch sagen, du solltest besser lernen zu nehmen, was du kriegen kannst, egal wem`s dann fehlt.“
Ich gehe so weit zu sagen, dass man diese Lieder gehört haben sollte, wenn man Facetten ostdeutschen Lebensgefühls verstehen will. Sie haben alles, was die Menschen in den letzten 30 Jahren durchlebten: Euphorie und Wut, Fülle und Leere, Hoffnung und Trauer, Sorgen und Trotz, Fragen und Antworten, Suchen und Finden, Fallen und Aufstehen, Wenn und Aber. Das ist kein Mainstream-Trallala. Aber Erwachsenenmusik für Anspruchsvolle und Anders(mit)denkende. In Ost und West und überall. Falkenbergs Lieder mit ihren metaphorischen Texten muss man mehrfach auf sich wirken lassen. Am besten live.
Falkenberg, Im leisen Verschwinden der Landschaft, mollwerk, 2019
rezensiert im September 2019