… wäre Sprechstundenschwester geblieben
Zum Zeitpunkt unseres Interviews hatte sie noch fünf Tage zu arbeiten. Die examinierte Sprechstundenschwester Ellen Hartmann war seit dem Jahr 2000 als Altenpflegerin tätig. Im Mai 2023 ging die 63-Jährige in den Ruhestand.

Ellen Hartmann, Jahrgang 1960
Zwei Jahre zuvor las ich in einem Zeitungsartikel von ihr. Damals feierte ihr Arbeitgeber, eine diakonische Einrichtung, ein rundes Jubiläum. Schwester Ellen fungierte als stellvertretende Leiterin der Tagespflege im brandenburgischen Zehdenick. Allerdings: Mit „Schwester“ wurde sie schon lange nicht mehr angesprochen.
Fachschulstudium in Dresden

Studienbuch der Med. Fachschule Dresden-Neustadt
Ihr Fachschulstudium begann sie am 1. September 1976 an der Medizinischen Fachschule am Stadtkrankenhaus Dresden-Neustadt, Luisenstraße 40, Hintergebäude. So steht es auf ihrem Studienbuch, das sie heute noch hat. Drei Jahre später, im August 1979, legte sie ihr Examen ab. Die Urkunde der staatlichen Anerkennung besitzt sie noch. Alle anderen Dokumente aus der Ausbildungszeit sind leider abhandengekommen.
Mit dem Examen von Freital nach Hartha

Auszug aus dem Studienbuch, 3. Studienjahr
Ihre Praktika des 1. Studienjahres absolvierte sie in der Kreispoliklinik Freital, Dresdner Straße 209: Aufnahme vier Wochen. Allgemeinmedizinische/Innere Sprechstunde sechs Wochen. Spritzenzimmer fünf Wochen. Ihren Einsatz unterzeichnete Schwester Veronika. Vier Wochen im Pflegeheim folgten. Im 2. Studienjahr standen zwei Wochen im Labor, 3 Wochen in der Physiotherapie, zehn Wochen in der Chirurgie und fünf Wochen stationäre Tätigkeit auf dem Plan. Auch in der Diabetesberatung und in der Mütterberatung sammelte sie Erfahrungen. Nach dem Examen arbeitete Ellen Hartmann im Beruf, in einer Arztpraxis im sächsischen Kurort Hartha. Vertretungsweise war sie auch ein Jahr Gemeindeschwester.
Umzug nach Brandenburg

Diakonisches Motto: Gott zum Lob und uns zum Leben.
Der Liebe wegen zog sie im Dezember 1985 in den heutigen Landkreis Barnim in Brandenburg um. „Nach meiner Heirat war hier allerdings keine Stelle frei. So wechselte ich als Sprechstundenschwester ins Betriebsgesundheitswesen vom HVW Klosterfelde.“ [VEB Holzverarbeitungswerk Klosterfelde] 1990 wurde ihre Arbeitsstelle abgewickelt. Ellen Hartmann wurde ein Jahr in Kurzarbeit geschickt. „Die Ärztin, für die ich gearbeitet habe, ließ sich privat nieder und wollte erst mal ohne Schwester arbeiten. Im örtlichen Ambulatorium war nichts frei. Ich wäre Sprechstundenschwester geblieben, aber ich wechselte notgedrungen in die Altenpflege“, erzählt sie. Durch Mundpropaganda hatte sie von einer Diakoniestation in Gründung erfahren. „Am 8. Oktober 1991 fing ich als Gemeindeschwester in Klosterfelde an.“ Und sie fügt hinzu: „Da war das noch kein Hindernis, dass ich Sprechstundenschwester bin.“
Qualifizierung zur Altenpflegerin

Zertifikat der zweiwöchigen Qualifizierungsmaßnahme.
Bis zum Jahr 2000 ging alles gut. „Dann fiel irgendjemandem ein, dass das nicht geht, dass dieser Abschluss nicht anerkannt wird.“ Ellen Hartmann musste sich erneut auf die Schulbank setzen. Gemeinsam mit etwa 20 anderen Sprechstundenschwestern aus dem ganzen Land Brandenburg. Die „Qualifizierungsmaßnahme nach Paragraph 2 a Absatz 1 Nr. 1 BgSozBerG im Bereich der Altenpflege“ fand im staatlich anerkannten Fachseminar für Altenpflege bei der SOWI Sozialwirtschaftliche Fortbildungsgesellschaft mbH Strausberg statt. Nach 60 Stunden Theorie in zwei Wochen wurden ihr und den anderen Teilnehmerinnen der Abschluss als Altenpflegerin zuerkannt.
Klares Ja zur Gleichstellung der Abschlüsse

Tagespflege Zehdenick
„Ich hätte sonst keine Behandlungspflege mehr machen dürfen, Blutdruck messen und Spritzen geben, zum Beispiel.“ Nur noch Grundpflege und Hauswirtschaftspflege wären erlaubt gewesen. „Eine Kollegin, die den Lehrgang nicht besuchen wollte, wurde zur Pflegehelferin heruntergestuft“, erinnert sich Ellen Hartmann. Sie selbst arbeitete bis 2010 als Altenpflegerin in der Diakoniestation und wechselte danach in die Tagespflege in Zehdenick. Bis zum Eintritt in den Ruhestand war sie stellvertretende Leiterin der Einrichtung.
Nach ihrer Meinung zu einer Gleichstellung der DDR-Abschlüsse Krankenschwester und Sprechstundenschwester gefragt, sagt sie ganz klar: „Ja, sollte unbedingt erfolgen. Es wird immer gesagt, uns würde die große Krankenpflege fehlen, aber wir haben auch im Krankenhaus und im Pflegeheim gearbeitet. Nur unser Schwerpunkt waren die Sprechstunden.“
veröffentlicht im Dezember 2023
Fotos: Dagmar Möbius
Ich habe den o.g. Beitrag gelesen und bin ebenfalls Jahrgang 1960,leider wurde in den alten Bundesländern diese Qualifizierung nicht angeboten. Lediglich eine nochmalige 3jährige Ausbildung. Also arbeitet man bis zur Rente als ungelernte Pflegehelferin. Oftmals habe ich zu hören bekommen, das die Ausbildung als Sprechstundenschwester unbekannt sei, selbst in Berlin bzw. in Magdeburg, welche meine Anlauf-stelle ist. Der sogenannte Einigungsvertrag hat viele Berufe bzw. Ausbildungen dekradiert. Aber viele Sprechstundenschwestern gehen ja bald in Rente und die Thematik hat sich von selbst erledigt.
Liebe Kommentatorin,
ja, leider ist das so. Die Altenpflege-Ausbildung von Schwester Ellen wurde so – nach jetzigem Kenntnisstand – auch nur im Land Brandenburg angeboten. Aus meiner Sicht müsste eher von Anpassungslehrgang gesprochen werden, bei dem nur Theorie erteilt wurde. Es ist ungerecht, ja.
Ich habe jetzt eine wissenschaftliche Arbeit über die Potenziale des Berufsbildes Sprechstundenschwester für die interprofessionelle Gesundheitsversorgung geschrieben. Die ist noch unveröffentlicht, aber ich wollte diese Forschungslücke füllen, sodass niemand mehr sagen kann, es sei nichts bekannt. Sobald mehr spruchreif ist, berichte ich auf dem Blog darüber. Viele Grüße und alles Gute!