MFA-Protest für mehr Wertschätzung in Berlin

Sie haben es satt. Seit 21 Monaten federn Praxisteams und MFAs alles an Pandemielast ab, was nicht in Krankenhäuser und öffentlichen Gesundheitsdienst gehört oder dort nicht geschafft wird. Sie fühlen sich nicht gesehen, geschweige wertgeschätzt. Am heutigen Mittwochmittag protestierten Berufsvertreter*innen vor dem Brandenburger Tor. Sie sind am Limit.

MFAs fordern mehr Wertschätzung.

 

 

 

 

 

VmF-Präsidentin Hannelore König

 

„Patienten sagen, wir würden am Wochenende golfen gehen und hätten den Impfstoff versteckt“, erzählt Hannelore König ein aktuelles Beispiel aus dem Praxisalltag. „Dass kein Impfstoff da ist, haben wir auch gerade erst erfahren.“ Die Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe, der zur Protestaktion aufgerufen hat, stellt klar: „Wir wissen die Leistungen der Pflege zu schätzen, fahren selbst in Heime. Es geht uns nicht um Konkurrenz. Wir halten seit 21 Monaten den Schutzwall für die Kliniken aufrecht. 13 von 14 COVID19-Patienten werden ambulant behandelt. Das Telefon steht nicht still. Wir waren immer zu leise, damit ist jetzt Schluss!“ Der Protestbeginn 12:15 Uhr ist kein Zufall. „Es ist Viertel nach 12.“

Demonstrierende mit den MdB Emmi Zeulner und Sepp Müller (CDU/CSU).

Emmi Zeulner und Sepp Müller sind zur Demo am Brandenburger Tor gekommen. Beide Mitglieder des Deutschen Bundestags gehören der CDU/CSU-Fraktion an. „Schauen wir mal, was die Opposition jetzt für uns tun kann“, sagt Hannelore König und erklärt, was den Medizinischen Fachangestellten wichtig ist. „MFAs brauchen momentan Luft zum Atmen.“ Das beträfe die zweifellos notwendige Digitalisierung, aber auch politische Entscheidungen, die in ambulanten Praxen des Landes „ausgebadet“ werden müssten. Als Beispiel nennt sie die Impfpflicht für Gesundheitsberufe ab März 2022. Die Mehrheit der Teilnehmenden ist „natürlich gegen Corona geimpft“, aber eine Stigmatisierung müsse unterbleiben, wenn man nicht noch mehr Beschäftigte aus dem Beruf drängen wolle. Abgesehen davon, dass man mit Motivieren und Überzeugen erfolgreicher sei, müsse es, wenn überhaupt, eine Impfpflicht für alle geben. Die Umstehenden applaudieren.

Ein weiteres Problem neben immenser Belastung und fehlender Wertschätzung ist – nicht erst seit Corona – die schlechte Bezahlung. Mit einem Einstiegsgehalt nach drei Jahren Ausbildung von 2.000 bis 2.500 Euro, liegen MFAs im Mindestlohnbereich. „Das ist eine Schande“, so König. Gespräche über die Gesamtproblematik mit dem Bundesgesundheitsministerium fanden erstmals im Juni 2021 statt. Zur Erinnerung: Der Verband medizinischer Fachberufe wurde 1963 als Berufsverband der Arzthelferinnen in Braunschweig gegründet.

Andrea Hemelt und Karola Buttler aus Berlin-Zehlendorf.

Andrea Hemelt und Karola Buttler gehören dem Verband nicht an. Trotzdem sind sie an ihrem freien Nachmittag zur Protestaktion gefahren. Beide arbeiten in einer Hausärztlichen / Rheumatologischen Praxis in Berlin-Zehlendorf. Andrea Hemelt ist seit 36 Jahren nicht nur im Beruf, sondern auch in der gleichen ambulanten Einrichtung tätig, ihre Kollegin seit über 20 Jahren. „Was ist denn eine MFA?“, wurden sie von Patienten gefragt. Dass ihr Beruf geachtet wird und die Gehälter angepasst werden, wünschen sie sich. Viele berufstypische Tätigkeiten wie EKGs ableiten oder Arztbriefe schreiben werden aktuell nicht mehr vergütet. Das wirkt sich auf die Honorare für die niedergelassenen Mediziner aus und soll sich ändern. Auch deshalb stehen sie heute mit am Brandenburger Tor. Mental unterstützt von ihren Chefs. „Wir lieben unseren Beruf, aber uns fehlt die Zeit nachzudenken, was man berufspolitisch tun sollte. Gleichgültigkeit ist es nicht“, sagt Karola Buttler. Jetzt reiche es aber. „Vorschnelle Meldungen in der Presse belasten uns“, ergänzt Andrea Hemelt. Sie ist nicht die Einzige, die kritisiert, dass politische Entscheidungen oft schon medial verbreitet werden, bevor ambulante Praxisteams eine reale Chance haben, diese fachgerecht vorzubereiten und zu organisieren.“ Dazu kommt: „Über uns wird nie berichtet.“

Praxisteam Atemwegszentrum Berlin-Neukölln

Aus Berlin-Neukölln ist der Pneumologe Dr. med. Rainer Gebhardt mit drei Medizinischen Fachangestellten zur Protestaktion gekommen. „Es muss etwas passieren“, begründet er sein Engagement. Damit meint er die permanente Verschiebung von Leistungen in den ambulanten Bereich. Eine Angleichung der MFA-Gehälter an übliche Löhne von Pflegepersonal sei nur bezahlbar, wenn die gesetzlichen Krankenkassen angemessene Vergütungen, analog des Klinikbereiches, zahlen. „Sonst verschärft sich der Nachwuchsmangel noch mehr“, sagt er. Die Befürchtung teilt eine MFA seines Teams: „Die Kolleginnen gehen lieber ins Büro, weil sie dann keine Diskussionen mehr führen müssen.“

Am Beispiel der aktuellen Impfvergütungen plädiert Dr. Gebhardt dafür, auch über Einnahmeverteilungen zu sprechen: „28 Euro werden für eine Corona-Impfung gezahlt. Für fünf Minuten ist das kein Pappenstiel. Es gibt Ärzte, die 100 bis 200 Impfungen täglich durchführen …“ Damit schneidet er ein heißes Eisen an. Dass Ärztefunktionäre meinen, Medizinische Fachangestellte gingen sie nichts an, regt ihn als Mitglied der AG Sozialdemokraten im Gesundheitswesen richtig auf: „Ohne Fußvolk können wir unsere Praxen zumachen.“ Dass das „Fußvolk“ jetzt lauter wird, findet er gut und richtig.

MFAs sehen nach 21 Monaten Corona-Pandemie kein Licht am Ende des Tunnels.

 

Die Übergabe eines Protestbriefes an das Bundesministerium für Gesundheit im Anschluss an die Demo am Brandenburger Tor konnte nur an der Pforte erfolgen. Der Verband medizinischer Fachberufe fordert unter anderem einen Coronasonderbonus aus staatlichen Mitteln – wie für Pflegekräfte in Kliniken, eine größere Tarifverbindlichkeit und eine zeitnahe Gegen­fi­nanzierung der Tarifsteigerungen ein.

 

PS: Unter den Demonstrierenden war auch eine Brandenburger Sprechstundenschwester. Über ihre Gründe und beruflichen Erfahrungen wird auf diesem Portal demnächst zu lesen sein.

Fotos: Dagmar Möbius

Die Bundesärztekammer unterstützt die Forderungen.

Ärzteblatt vom 16.12.2021: Medizinische Fachangestellte protestieren für mehr Wertschätzung

,
6 Kommentare zu “MFA-Protest für mehr Wertschätzung in Berlin”
    • Vielen Dank für das Feedback! Es ist wichtig, dass Berufsgruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es war mir ein Anliegen, die für Außenstehende nicht einfachen Zusammenhänge zu erklären. Alles Gute für Sie und Ihr Team!

  1. Pingback: Haushoher Favorit und Überraschungsvorletzter: Das Sprechstundenschwester.de-Ranking 2021 – Sprechstundenschwester

  2. Pingback: 8. September 2023, Berlin: Protesttag für eine gesicherte ambulante Gesundheitsversorgung – Sprechstundenschwester

  3. Pingback: Trillerpfeifen für die ambulante Regelversorgung – Dagmar Möbius Freie Journalistin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert