Deine Willkür – Meine Bürde

 

Deine Willkür – Meine Bürde. Die Geschichte eines entsorgten Vaters

Dieses Buch würden Redakteure sicher nicht für die Liste „Lektüre für den Urlaubskoffer“ nominieren. Die Umschlagseiten schwarz, das Titelbild zeigt einen verzweifelten Mann, dessen Gesicht man nicht sieht. Und doch ist dieser Roman wichtig, denn er behandelt das Thema Kindesentfremdung, -entzug nach Elterntrennung mit allen Langzeitleiden.

Warum bespreche ich das Buch auf dieser Plattform? Es hat im weitesten Sinn mit meiner langjährigen Arbeit in psychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich zu tun. Jede/r Psychiater*in kennt solche Fälle. In jeder Klinik liegen depressive Männer und Frauen, deren Familien zerbrochen sind. Einzelschicksale sind das nicht. In jedem Freundes- und Bekanntenkreis dürfte es Beispiele geben. Gesprochen wird trotzdem wenig über das Problem. Vielleicht weil es die Umwelt so hilflos macht und es keine Universallösungen gibt.

Zudem habe ich mit der 81-jährigen Autorin gesprochen. Dieses ist ihr fünftes Buch, herausgebracht im Eigenverlag. Dabei signalisierten durchaus „richtige“ Verlage Interesse am Manuskript. Doch die in Ostdeutschland Aufgewachsene und seit den 1950-er Jahren im Westen Lebende möchte nicht in der Öffentlichkeit auftreten, nicht selbst lesen. Sie verarbeitet reale Erlebnisse und schreibt unter Pseudonym. „Der entsorgte Vater“ ist ihr Herzensprojekt.

Es ist die Geschichte eines Mannes und glücklichen Vaters zweier Mädchen, dessen Frau fremdgeht und durch rücksichtslose Ansprüche und Rechthaberei die Familie zerstört. In der Folge gerät die Welt von Jonas komplett aus den Fugen. Er darf seine Töchter nicht mehr sehen und zerbricht fast daran. Einen Ausweg aus seiner Not mit Tablettensucht, Selbstmitleid und Hass sieht er lange nicht. Bis er sich einer und später mehreren Selbsthilfegruppen anschließt. Diese Versammlungen werden zu seinem Lebensretter.

Eine Herzschmerzgeschichte mit glücklichem Ende erzählt die Autorin nicht. Sie schildert eindrücklich, wie sich familiäre Schieflagen andeuten und was passiert, wenn sich volljährige Menschen unerwachsen und egoistisch verhalten. Wie Kinder und Eltern leiden und dass die Zeit solche Wunden selten heilen kann. In 24 Kapiteln hofft man immer wieder auf eine glückliche Wendung. Die kommt nicht. Jedenfalls nicht so wie erwartet. Unberechenbar, wie das Leben spielt.

Dennoch kann das Buch Mut machen. Der über lange Zeit verzweifelte Jonas gibt nie auf, nimmt immer wieder Anlauf, seine seelischen Krisen zu überwinden, gelassen und weise zu werden. Er trifft Menschen, die ihm guttun, obwohl oder gerade weil sie ebenfalls heftige Schicksalsschläge verkraften mussten. Er bekommt Hilfe, die er nie erwartet hätte. Schließlich findet der entsorgte Vater sogar eine neue Liebe. Eine echte Liebe. Die Sehnsucht nach seinen Mädchen, beide „Papakinder“, bleibt. Fast 30 Jahre lang. Jahrzehnte, die auch die Töchter enttäuscht und verletzt haben.

Der Roman ist ein Plädoyer für gesunde Beziehungen und für ein respektvolles, menschliches Miteinander. Trotz aller Ernsthaftigkeit verzichtet er nicht auf Humor und positive Energie.

Gut, dass inzwischen erste Vereine, die sich für verlassene Väter und Mütter engagieren, bundesweit Lesungen organisieren.

Lieselotte Kamper, Deine Willkür – Meine Bürde. Die Geschichte eines entsorgten Vaters, tredition, ET: 4. September 2019, 376 Seiten, ISBN: 978-3-7497-3639-3 (Paperback), auch als Hardcover und E-Book erhältlich

rezensiert im Januar 2020