Vom Hirschfilet zum Publikumsliebling

„Wenn die Schwester keine Angst vorm Chefarzt hat, liegt der Staub meterhoch und die Patienten doppelt so lange“, sagt der Chefarzt im 1979 gedrehten DDR-Fernsehfilm „Marta, Marta“. Solche Sprüche kennen auch alle Krankenschwestern und Sprechstundenschwestern noch, die wie die Filmprotagonistin in den 1970-er bis Ende der 1980-er Jahren ihre Ausbildung absolvierten.

Etwas Solides mit Aufregung

Schauspielerin Marijam Agischewa. Die Rolle der Marta machte sie 1979 zum Publikumsliebling.

Kürzlich wurde die Filmrarität beim Berliner Filmmontag im Kino Toni in Weißensee gezeigt. Hauptdarstellerin Marijam Agischewa war als Gast angekündigt. Als 20-jährige Schauspielstudentin verkörperte sie die Rolle der Marta. Die 17-jährige Ostberlinerin heißt eigentlich Martina, hat ihren eigenen Kopf und will beruflich am liebsten gar nichts werden. Sie hört gern zu. Immerhin. Aber ein Talent sei das gerade auch nicht, belehrt sie ihre Berufsberaterin (Helga Göring). „Etwas Solides, wo man trotzdem jede Menge Aufregung hat“, schwebt ihr vor. Wie die Überzeugungskurve vom Bauingenieur auf dem Papier (weil man ja etwas hinschreiben musste) zur Krankenschwester im Einzelnen verlief, zeigt der nach einem Drehbuch von Gisela Steineckert entstandene Streifen nicht.

„Ein alter, ehrwürdiger und schwerer Beruf“

Ein Dialog mit der Mutter verdeutlicht ohne viele Worte den Stellenwert des Berufes. „Alt, ehrwürdig und schwer“, beschreibt Chefarzt Dr. Maurer (Otto Mellies) später. Doch das weiß Marta noch nicht, als sie fröhlich verkündet: „Ich werde Krankenschwester.“ Die Mutter ermahnt: „Du sollst nicht immer sticheln!“ „Nein, mein Ernst“, sagt Marta. Auf ein Wohnheimzimmer muss sie ein Jahr warten, mindestens. Dabei würde sie dem Dauerkonflikt der Eltern (Jürgen Heinrich und Angelika Waller) gern aus dem Weg gehen. Stattdessen sucht sie in ihrer Freizeit Trost bei Nachbar und Taxifahrer Monty (Walter Plathe).

Während an der Charité gebaut und gebaut wird, sieht man Marta knieend den Stationsboden schrubben bis die Hände schmerzen. Sie bereitet in der Stationsküche das Essen vor und versteht nicht, warum sie dabei – auch nicht leise – Radio hören darf. Sie wird in ein schwieriges Patientengespräch verwickelt, auf das sie nicht vorbereitet ist. Oberschwester Marianne (Hildegard Alex) ist Respektperson, dabei empathisch und psychologisch geschickt. Anstatt Marta für ihre verbale Fehlleistung zu bestrafen, lässt sie sie an einer Geburt teilnehmen.

Der richtige Film zur richtigen Zeit

Zur Rolle kam Marijam Agischewa durch Zufall. Die damals 20-jährige Schauspielstudentin hatte beim DDR-Fernsehen in Johannisthal etwas abzuholen. Sie wusste: „In der dortigen Kantine kann man schön essen“ und entschied sich für Hirschfilet mit Pommes frites. Regisseur Manfred Mosblech entdeckte sie, ließ sie vorsprechen und besetzte die bereits vergebene Rolle der Marta neu mit Marijam Agischewa. „Es war ein tolles Drehbuch, man durfte wieder einiges sagen“, erinnert sich die heute 64-Jährige. „Es war der richtige Film zur richtigen Zeit. Ich danke dem Hirschfilet im DDR-Fernsehen“, schmunzelt sie.

Zeitdokument und Kammerspiel

von links nach rechts: Hildegard Alex, Walter Plathe, Paul Werner Wagner, Marijam Agischewa

Zur Gesprächsrunde sind zusätzlich Hildegard Alex und Walter Plathe erschienen. Während die 81-Jährige den Film nie gesehen hat und noch kurz vorher behauptet, sie habe gar nicht mitgespielt, war der Monty für Walter Plathe, heute 72, eine seiner größeren Rollen. „Es war schon schön, wir haben uns immer gut verstanden“, erzählt er, und auch, dass er noch vor drei Jahren mit Otto Mellies (†2020) spielte. An „Marta, Marta“ lobt er, dass der ebenfalls anwesende Komponist Hartmut Behrsing mit seiner Musik „sehr den Nerv unserer Zeit getroffen“ habe. „Der Film ist ein Zeitdokument, ein gutes Kammerspiel. Es haben gute Schauspieler mitgewirkt.“ Im Fernsehen spielte Plathe einige Jahre den Landarzt. „Das war nett“, findet er, „aber Ärzte spielen sich fast von alleine.“ Heute fühlt er sich im Theater wohler. Hildegard Alex, seit 55 Jahren der Berliner Volksbühne treu, habe nichts verpasst, resümiert sie.

Schauspielerin und Schmerztherapeutin

Auch Marijam Agischewa sieht „Marta, Marta“ zum ersten Mal seit 40 Jahren. „Es ist erstaunlich, dass sich das Erwachsenwerden nicht ändert, das ist nicht veraltet“, sagt sie. Und auch: „Ich war jung und überzeugt von mir, die Demut kam erst später.“ Ob die Rolle der Marta ein Schlüsselerlebnis für Medizin für sie bedeutete, fragt Moderator Paul Werner Wagner. Bekanntlich spielt sie seit einigen Jahren die Chefärztin in der in Erfurt gedrehten ARD-Serie „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte“. Tatsächlich absolvierte die Schauspielerin fünf Zusatzausbildungen, darunter eine als Heilpraktikerin. Aus Interesse und um ihren Horizont zu erweitern, sagt sie. Einige Jahre arbeitete sie nebenberuflich im Schmerzzentrum Berlin als Schmerztherapeutin. Irgendwann war das mit der Schauspielerei nicht mehr zu schaffen. Aber: „Wenn ich alt bin, mach ich`s wieder“, lacht sie.

 

 

 

Der 93-minütige DDR-Fernsehfilm „Marta, Marta“ von 1979 ist heute mit Glück als DVD erhältlich oder kann gestreamt werden.

 

 

 

Fotos: Dagmar Möbius

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Ein Kommentar zu “Vom Hirschfilet zum Publikumsliebling”
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