Die verschwundene Funkhaus-Poliklinik

Zu DDR-Zeiten war der Gebäudekomplex des Rundfunks an der Nalepastraße für mich nicht zugänglich. Was nach der Wende auf und mit dem Areal vor sich ging, könnte man als Wirtschaftskrimi erzählen. Glücklicherweise konnte ein großer Teil der „Stadt in der Stadt“ erhalten und unter Denkmalschutz gestellt werden.

Funkhaus Nalepastraße

Rare Tickets

Am Tag des offenen Denkmals 2007 wurde die erste Führung durch das Funkhaus Berlin angeboten. Die 90 Minuten dauernden Touren finden jetzt immer am ersten und letzten Samstag im Monat statt. Wer ein Ticket buchen möchte, muss sich meist Monate bis zu einem freien Termin gedulden. Sprechstundenschwester hat gewartet und Einblicke in „Berlins spektakulärsten Musik- und Veranstaltungsort“ – so die bescheidene Werbung – erhalten.

Orientierungsplan

Treffpunkt Milchbar

Die Milchbar im Retrostil.

Die Funkhaus-Tour beginnt an der Milchbar. Die heißt noch so wie früher, bietet aber längst mehr als süße Verführungen. Wer eintreten will, steigt durchs marode Schiebefenster – leider nicht barrierefrei. Aber auf den Tischen liegen weiße Decken und das kulinarische Angebot ist anspruchsvoller als man beim Außenanblick vermutet. Alternativ laden unzählige Plätze im Biergarten direkt an der Spree zum Verweilen ein. Einkehren dürfen alle, nicht nur Funkhaus-Gäste. Ein offizieller Eingang, über den man auch in den Speisesaal gelangt, befindet sich wenige Meter am Block C um die Ecke.

Geschichte in Blöcken

3.500 Mitarbeitende waren zu DDR-Zeiten auf dem Rundfunk-Areal beschäftigt. Zwischen 1950 und 1956 wurde es errichtet. Architekt war der Bauhausschüler Franz Ehrlich. Die einzelnen Gebäudekomplexe sind nach Buchstaben benannt. Block A war eine Sperrholzfabrik, die aufgestockt wurde – heute noch gut zu sehen an der Farbe der Ziegel.

Block A, der Tower

Los geht’s im Kultursaal, weiter in die einstige Fahrzeughalle, heute Shedhalle, nach der Bauweise der erneuerten Dachkonstruktion benannte Eventlocation, in den Tower sowie abschließend in den Block B mit Kleinem und Großen Sendesaal, übrigens der größte der Welt dieser Art.

Was der DDR-Rundfunk sendete

In einem Gutachten für die Enquete-Kommission 5/1 des Brandenburger Landtags beschrieb die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Ariane Mohl in den Jahren 2010/2011 „Personelle und institutionelle Übergänge im Bereich der brandenburgischen Medienlandschaft“. Dort heißt es:

Der „Rundfunk der DDR“ in der Ost-Berliner Nalepastraße strahlte bis 1990 fünf landesweite Hörfunkprogramme aus: das Nachrichten- und Unterhaltungsprogramm DDR I, das auf Kultur, Bildung und Gesellschaft spezialisierte Programm DDR II, die für deutschsprachige Nicht-DDR-Bürger ins Leben gerufene Stimme der DDR, den Berliner Rundfunk und das „Jugendradio“ DT 64. Hinzu kamen mehrere Regionalprogramme auf Bezirksebene, ein Hörfunkprogramm für die sorbische Minderheit sowie der Auslandssender Radio Berlin International.

Darüber hinaus wurde während der Feriensaison ein eigenes Programm für die Ostseeregion ausgestrahlt. Für die Gäste der Leipziger Messe ging je eine Woche im März und September die Messewelle über den Äther.

Das „Fernsehen der DDR“ mit Studios in Berlin-Adlershof, Berlin-Johannisthal, Halle und Rostock strahlte zwei Programme aus.

Eingang zum Tower

Die verschwundene Poliklinik

Von der einstigen Betriebspoliklinik ist heute nichts mehr übrig. Ich erfahre, dass sie sich früher über dem Kultursaal befunden haben soll. Die knappe Zeit erlaubt es nicht, das Nischenthema während der Führung zu vertiefen, haben doch die teilnehmenden Gäste viele andere Fragen.

Im Nachgang bekomme ich Kontakt zu Elisabeth Heller. Sie arbeitete ab Ende der 1970-er Jahre bis zur Abwicklung des DDR-Rundfunks als Musikredakteurin in der Nalepastraße. Sie weiß es genauer, denn sie war selbst Patientin der Betriebspoliklinik: „Die einstigen Räume wurden längst entkernt und sind heute nicht mal mehr ansatzweise als solche zu erkennen oder von Außenstehenden zu verorten“. Woran sie sich noch erinnert: „Wie in jeder DDR-Poliklinik gab es auch in der Funkhaus-Poliklinik Ärzte für ungefähr so jedes Wehwehchen. Darunter Arbeitsmediziner, Psychologen, Frauen- und Zahnärzte und andere.“ Zudem waren im gesamten Rundfunkkomplex Frauenruheräume verteilt.

Elisabeth Hellers Betriebsärztin Maritta Stephani wurde später ihre Hausärztin und arbeitete bis zu ihrem Ruhestand in Berlin-Karlshorst. Ob angestelltes Personal, zum Beispiel Sprechstundenschwestern, der einstigen Funkhaus-Poliklinik mit in die Niederlassung wechselten, erinnert sie nicht.

Noch ein Zeitzeuge

Wolfhard Besser ist heute 87 Jahre alt. Zwischen 1961 und 1993 arbeitete er als Redakteur und Moderator bei Radio DDR. Seit 2007 führt er als Sachkundiger Gruppen der Funkhaus-Tours und weiß, dass außer ihm „so gut wie keine ehemaligen Mitarbeiter mehr detaillierte Auskünfte zum Funkhaus Nalepastaße geben könnten. Auch er nahm die Dienste der früheren Poliklinik in Anspruch und erinnert sich: „Es war eine umfängliche Betreuung der Funkmitarbeiter gewährleistet. Neben dem Chefarzt (Gynäkologe) praktizierten zwei Allgemeinmediziner, zwei Zahnärztinnen. Fachärzte kamen nach Bedarf stundenweise ins Funkhaus.“

Wie dies im Einzelnen geregelt war, kann er leider nicht sagen. Auch nicht, wie viel und welches Assistenzpersonal beschäftigt war. Aber: „Sprechzeiten fanden täglich nach einem Bestellsystem statt. Redaktionen und Abteilungen, die im Schichtbetrieb arbeiteten, wurden durch die Ärzte der Poliklinik etwa zweijährlich zur Reihenuntersuchung aufgefordert.“

Wo die Funkhaus-Poliklinik war

„Die Poliklinik befand sich im Block D des Funkhauses. Nicht über dem Kultursaal, sondern seitlich davon“, erzählt Wolfhard Besser. „Man gelangte über den Gang am Kultursaal entlang im 1. Stock oder über den Treppenaufgang zum Block D (vom Speisesaal oder von der Spreeseite her) in den 2. Stock des Blocks D zur Poliklinik. Diese Räumlichkeiten existieren heute nicht mehr. Sie sind mit dem Umbau des ehemaligen Kraftfahrparks als jetzt vergrößerte Shedhalle einbezogen worden. Man sieht also nichts mehr von der ehemaligen Poliklinik.“ Heute noch möglich ist ein Blick vom langen Gang im 1. Stock in den Wirtschaftshof. Gegenüber befand sich die Poliklinik. Deren Außenmauer bildet jetzt eine Seite der Shedhalle.  Dort wurde vor etwa fünf Jahren aus sicherheitstechnischen Gründen eine Eisentreppe angebaut.

Auch interessant:

„Im 1. Stock dieses Hauses D gab es anfangs ein Wannen- und Brausebad für die Rundfunkmitarbeiter. Ob es auch für medizinische Behandlungen eingesetzt wurde, kann ich nicht sagen. Das Bad wurde etwa1956 für die Mitarbeiter eingerichtet, die damals oft unter widrigen Wohnbedingungen lebten und über keine guten hygienischen Möglichkeiten verfügten. Mit dem Bau des Funkhauses und der Umstrukturierung des DDR-Rundfunks 1952 wurden viele Mitarbeiter nach Berlin geholt, mussten zunächst aber schlechte Wohnbedingungen akzeptieren. In dieser 1. Etage gab es auch einen Frisörsalon.“

Auf dem Funkhaus-Areal gibt es viel zu entdecken, nur keine Poliklinik mehr.

Mit Fotos der einstigen Funkhaus-Poliklinik kann dieser Beitrag also leider nicht punkten. Sollte jemand welche in Privatbesitz haben und/oder Informationen zu einst dort beschäftigten Sprechstundenschwestern haben, freue ich mich über eine Nachricht.

Mehr zur Geschichte erfahren Interessierte auf Zeitreise Nalepafunk.

Touren, auch individuelle für Gruppen, bucht man bei Funkhaus Berlin.

 

 

Fotos: Dagmar Möbius

Aufmacherfoto:

 

Foyer zum Kultursaal. Durch die Glastür könnte man eine frühere medizinische Einrichtung vermuten. Leider Fehlanzeige.

 

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