Das war’s – Inventar des DDR-Museums Dresden versteigert

„36 Grad. Bei der Hitze kommt keiner“, meint das kurz vor der Wende geborene, inzwischen erwachsene, Kind. Es täuscht sich gewaltig.

Großer Andrang bei der Versteigerung.

Volles Haus

Am 8. Juli 2023 kamen fast 1.000 Posten des am 30. Juni 2023 für immer geschlossenen DDR-Museums im Dresdner Albertplatz unter den Hammer. Die hohen Temperaturen schrecken Sammler und Schnäppchen-Suchende keineswegs ab. Kurz vor Beginn um 10 Uhr sind mehr als 300 Auktionsnummern ausgegeben – entsprechend voll ist der Raum. Von wegen nur (N)Ostalgiker! Menschen Ü50 machen gefühlt nur die Hälfte des Auktionspublikums aus. Auch viele jüngere Menschen warten gespannt auf den Aufruf ihrer Objekte der Begierde.

Enormes Interesse

Mitfiebern im Saal.

Ein vorausschauender Mann hat sich einen Campingstuhl mitgebracht. Zwar muss er im hinteren Saaldrittel nun regelmäßig aufstehen, um die aufgerufenen Posten auf der Leinwand zu sehen und vom Auktionator gesehen zu werden, doch die meiste Zeit blättert er im Katalog. Die ihn interessierenden Posten sind wohl erst im Laufe des Nachmittags oder Abends zu erwarten. In den abgesperrten Museumsabteilen begutachten Interessierte Einzelstücke und Konvolute. Mangels Sitzplätzen hocken einige später im historischen Friseursalon, auf Wandbords oder auf dem Boden. Fernsehteams, Fotografierende und zahlreiche Berichterstattende schlängeln sich durch die Massen. Zusätzlich sitzen über 100 Internet-Bietende überall auf der Welt an den Bildschirmen.

Lose ab 10 Euro

Auktionator Stefan Günther bringt sonst Antiquitäten unter den Hammer.

„Seid bereit!“, begrüßt Auktionator Stefan Günther die Anwesenden. Insider-Scherzen wie diesem folgen noch einige. Doch selbstverständlich wird das Auditorium mit dem Vortragen der Versteigerungsbedingungen auf den Ernst der Lage eingeschworen: „Mit der Bieternummer winken oder Luft zufächern, kann teuer werden.“ Alle Lose beginnen mit zehn Euro. Hinzu kommen generell 25 % Aufschlag.

 

 

Das einstige Restaurant “International” auf der Prager Straße, Dresden 1976.

Der erste aufgerufene Posten lässt ahnen, dass diese Veranstaltung nicht als Schnäppchen-Event in die Geschichte eingehen wird. Die in den 1970er Jahren in den Deutsche Werkstätten Hellerau hergestellte Wandverkleidung zierte das einstige Restaurant International auf der Prager Straße und bekommt den Zuschlag bei 5.000 Euro.

Foto: ADN-ZB Häßler 24.6.76/Bundesarchiv

 

 

Über ein 40 x 60 cm großes Granitschild mit der Aufschrift “Kulturbund der DDR, Dresdner Club der Intelligenz” freut sich der neue Besitzer für 1.700 Euro. Eine Schrankwand wird für 25 Euro an neuem Ort aufgebaut. Diverse Kleinmöbel folgen, Kittelschürzen aus Dederon, rosa Nachttöpfe aus Plastik, Konvolute Bücher und Spielzeug, Computer, Porzellan. „Sie denken jetzt: Ei Gott, das haben wir alles weggeschmissen“, kommentiert der Auktionator lachend. Wie recht er hat!

Beispiel-Objekte aus dem DDR-Gesundheitswesen

Der Kunstdruck Dania M., der aus einer Kinderarztpraxis oder einem Kindergarten stammen soll, wird für 70 Euro versteigert.

Ab Los-Nummer 61 wird es für die an medizinischen Utensilien Interessierten interessant. Ein gynäkologischer Untersuchungsstuhl mit Beiwerk wird für 130 Euro erworben.

Als der Auktionator bei Los-Nummer 99, einer manuellen Standwaage mit Gegengewichtsystem und einem Rückenlattenmessgerät ankommt, dauert die Versteigerung bereits zwei Stunden. Der Zuschlag geht bei 130 Euro an einen Internet-Bietenden. Andere Online-Angemeldete ersteigern den Praxiswagen eines Lungenfacharztes für 85 Euro, Messgeräte aus einer Augenarztpraxis für 20 bzw. 30 Euro, ein Konvolut Stempel für 90 Euro, einen kleinen Medizinschrank mit Inhalt für 300 Euro, einen Notfallkoffer für 120 Euro und die vollständige Möblierung einer Apotheke für 1.000 Euro. Ein mobiles Röntgengerät ist 30 Euro wert, eine Sehtafel für die augenärztliche Untersuchung 130 Euro, die Einrichtung einer neurologischen Praxis samt EEG-Gerät 35 Euro.

Einrichtung einer neurologischen Praxis.

Wiedersehen im Museum oder auf dem Flohmarkt?

All diese Posten sind im besten Fall in einem geeigneten Museum wiederzusehen. Denn speziell bei Letzterem wird klar: Ohne fachliche Expertise werden Ausstellungsstücke zur Lachnummer. Eine Wärmflasche auf der mit einer Wolldecke überspannten Untersuchungsliege eines Nervenarztes? Na ja. In puncto Hygiene war das DDR-Gesundheitswesen bei allem Mangel nicht hinter dem Mond.

Als weitere Lose mit DDR-Praxisinventar aufgerufen werden, ist der Tag weit fortgeschritten und Sprechstundenschwester bereits weitergereist. Ohne Exponat, ohne Trauer. Obwohl das einzig für Forschungszwecke ersteigernswerte Bücher-Konvolut für eine dreistellige Summe unter den Hammer kam und damit hoffentlich in fachkundige Hände. Das Dabeisein war dennoch spannend und amüsant.

Das 1954 erstmals zugelassene Feuerwehrfahrzeug H3FA hat 74.657 km auf dem Tacho und kam für 5.500 € unter den Hammer.

Bei einer Zuschlagsquote von 97,5 % freute sich der Auktionator nach elfstündigem Versteigerungsmarathon über einen Erlös von 174.000 Euro. Neugierige können in der Ergebnisliste stöbern.

 

 

 

 

 

Mediale Dokumentation

SMS

 

Screenshot “hallo deutschland” vom 11. Juli 2023

Hab dich im fernsehen gesehen ! 😊“ Als die SMS eintrudelt, ist es offiziell: Sprechstundenschwester wurde vom ZDF-Team gefilmt. Der Beitrag aus „hallo deutschland“ vom 11. Juli 2023 kann ein Jahr in der Mediathek angeschaut werden. Für Eilige: ab 19:34 min …

 

Gabi Reißig verabschiedete sich mit Würde vom einstigen Arbeitsplatz.

In diesem Fernsehbeitrag kommt Gabi Reißig nicht zu Wort. Sie steht am Tag der Auktion an der Kasse des nun fast ausverkauften Simmel-DDR-Museums und lässt sich nicht anmerken, wie viel Stress sie in den letzten Wochen hatte. Mit Anfragen, E-Mails von Interessenten, Koordination und Organisation. „Gut, dass wir es bald geschafft haben.“

 

 

Die Dresdner „Welt der DDR“ gibt es nicht mehr. Erinnerungen bleiben. Und die Gewissheit, dass manches erst wertvoll erscheint, wenn es nicht mehr zu bekommen ist …

“Die Welt der DDR” ist dauerhaft geschlossen.

 

Fotos und Screenshots: Dagmar Möbius

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