Mit Katzenblick auf Florence‘ Spuren

Am 12. Mai wird der 200. Geburtstag von Florence Nightingale begangen. Als Verbeugung vor dieser besonderen Frau veröffentlichte die 72-jährige Christine Meiering ein Buch über die weltweit als „Pionierin der Krankenpflege“ geltende Britin. Ich habe die Autorin gefragt, was sie motivierte, wie sie vorgegangen ist und wie fiktiv das schwer in eine Kategorie einzuordnende Werk ist.

Frau Meiering, Sie sind gebürtige Leipzigerin, doch Ihr Abitur absolvierten Sie 1968 an der Theodor-Fliedner-Schule, dem heutigen Gymnasium zu Düsseldorf-Kaiserswerth. Der Ort, an dem auch Florence Nightingale weilte, scheint sie lebenslang geprägt zu haben?

Nach unserer Flucht 1958 aus Leipzig, die mir als Zehnjährige sehr zu schaffen machte, empfand ich die Atmosphäre in der Kaiserswerther Schule als sehr ansprechend, ja, in gewisser Weise auch als familiär. Unsere Rektorin, Frau Fromme, prägte die Schule ihrem eigenen Namen gemäß. Mir persönlich sagte die christliche Note sehr zu. Bereits als jüngere Schüler wurden wir sehr intensiv mit dem Diakonischen Werk Theodor Fliedners vertraut gemacht. Das umfasste neben theoretischen Kenntnissen vor allem auch den praktischen Teil wie freiwillige Sonntagsdienste sowie Praktika. In dieser Zeit entwickelte sich bei mir bereits eine hohe Wertschätzung allen Pflegenden gegenüber.

Dennoch sind Sie nicht Krankenschwester, sondern Lehrerin geworden. Warum?

Da ich schon von Kindheit an über eine schwächere körperliche Konstitution verfügte und sah, wie sehr das Pflegepersonal diesbezüglich gefordert war, habe ich mich zum Studium der Pädagogik entschlossen, zumal ich schon immer liebend gerne Kinder in der Nachbarschaft betreut hatte. An der Pädagogischen Hochschule in Essen lernte ich auch meinen späteren Mann, einen Diplom-Pädagogen, kennen. Mit drei Kindern, eines mit Behinderung, war ich sehr ausgelastet und konnte meinen Beruf nicht mehr ausüben. Ehrenamtliche Betätigungen in der Altenpflege machten mir aber Freude. Erst nachdem ich durch die eigenen Kinder und nach den ersten Lebensjahren der drei Enkel nicht mehr so intensiv gebraucht wurde, begann ich mit dem Schreiben. Das faszinierte mich schon seit meiner Kindheit.

Die Person Florence Nightingale, kurz Flo oder F.N., hat es Ihnen, wie man beim Lesen spürt, offenbar besonders angetan. Weshalb?

Der Name begegnete mir in meiner Schulzeit häufig. Mich interessierte zunächst das Leben dahinter. Mich beeindruckte, dass Florence Nightingale trotz zeitweise großer Schwäche immer an ihrem Lebensziel, das sie von Gott vorgegeben und bestimmt sah, festhielt und mich faszinierte, dass sie aus dem gesellschaftlichen Rahmen feiner englischer Gesellschaftsschichten ausbrach, um ihrer eigenen Bestimmung zu folgen.

Autorin Christine Meiering

Ihr viertes Buch unterscheidet sich deutlich von Ihren vorherigen Publikationen…

Den Impuls zu meinem ersten Buch verdanke ich einer alten Russlanddeutschen. Sie offenbarte mir in einer Flüchtlingsunterkunft ihr schmerzensreiches Leben und brachte mich dazu, Hunderte von Notizzettelchen in einen Erlebnisbericht zu verwandeln. ‚Wanderin zwischen zwei Welten‘ wurde 2012 im Lichtzeichen-Verlag veröffentlicht. In der 2013 im Engelsdorfer Verlag erschienenen Familiengeschichte ‚Kalle iss doof, Leipzig iss dufte‘ kommt meine große Liebe zu Leipzig, meiner Heimat, zur Sprache. Und ‚Die Rosenlady und der Sekretär“ ist ein 2018 publizierter fiktiver englischer Gesellschaftsroman, in dem sich alles um die vor über hundert Jahren lebende Person Lord of Cromer dreht. Meine seit der Kindheit bestehende Leidenschaft für das Schreiben von Briefen und Tagebüchern, inspirierte mich, mein Nightingale-Buch derart zu konstruieren. Es ist mein Herzensprojekt. Ich habe eine andere Erzählperspektive gewählt, zumal F.N. eine Katzennärrin gewesen ist. Fiktiv ließ ich der Welt klügste Katze über die Schulter ihres Frauchens blicken, als diese ihre vielen Briefe geschrieben und Tagebuchaufzeichnungen verfasst hat.

Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, aber ich habe es nicht so mit Katzen…

(lacht) Ich eigentlich auch nicht.

… zunächst war ich skeptisch, ob ich mich wirklich durch das imposante Werk arbeiten soll. 680 Seiten im A5-Format. Nichts für kleine Handtaschen. Wie viel Wahrheit, wie viel Fiktion erwartet die Lesenden?

Die grundsätzlichen Ereignisse, Namen und Orte sind realistisch. Im Prolog lasse ich Florence Nightingale in Ich-Form alle beteiligten Personen vorstellen. Erlebnisse wie die einer Krimrückkehrerin habe ich kreativ ausgeschmückt. Mein Buch soll einen guten Einstieg in die damalige Zeit und in das Leben meiner Hauptperson bieten. Der Erzählteil des Buches nimmt 640 Seiten ein, den ich in 67 Kapitel gegliedert habe. Teil 2 fasst die Biografie wie eine Art Chronik im Zeitraffer zusammen. Und noch mal kurz zurück zur Katze – Florence Nightingale setzte Tiere im Lazarett auch therapeutisch ein.

Sie beschreiben die Orte, als seien sie dort gewesen.

Alle nicht, aber das Geburtshaus von F.N., die ihren Vornamen erhielt, weil sie in Florenz zur Welt kam, habe ich unter anderem besucht. Meine Kaiserswerther Jugend hatte ich ja schon erwähnt. Übrigens wird in diesem Jahr auch der 220. Geburtstag von Theodor Fliedner, dem Gründer der dortigen Diakonieanstalt, begangen. Er war ein väterlicher Freund von Florence Nightingale und dessen Tochter Luise eine vertraute Freundin.

Als großes Plus empfinde ich die große Schrift. Wie viel Zeit, Nerven und Aufwand haben Sie in das Buch investiert, das schon in zweiter Auflage vorliegt?

Aus der bisherigen Resonanz höre ich oft, dass die nicht so dicht beschriebenen Seiten als lesefreundlich empfunden werden, vor allem von älteren Personen. Wider Erwarten wurde das Buch doppelt so umfangreich wie geplant. Ich hatte es zunächst im DIN-A4 Format geschrieben und musste es in DIN A5 umwandeln. Der gesamte Prozess beanspruchte ungefähr zwei Jahre. Das Schreiben selbst bereitete mir sehr viel Vergnügen. Es ging leicht von der Hand, weil ich es gewohnt bin, mich in andere Menschen hineinzuversetzen und im Briefe- und Tagebuchschreiben auf viele eigene Erfahrungen zurückgreifen konnte. Nerven gekostet hat mich, mit den technischen Gegebenheiten klarzukommen. Aber dank der Hilfe meines Mannes gelang es dann doch. Die zweite Auflage erschien kurz nach der ersten, weil die Zitate von Florence Nightingale zunächst nicht kursiv gedruckt waren. Und das war mir doch wichtig. Kostenmäßig, einschließlich Flyer drucken und Briefporto, bewegte sich alles in einem erschwinglichen Rahmen. Für andere Hobbys schlägt erheblich mehr zu Buche.

Spanische Grippe, Fachkräftemangel, Krieg, Hierarchiekämpfe, die Bedeutung von statistischen Zahlen – die Parallelen Ihres Buches zur Gegenwart sind zeitweise verblüffend. So argumentiert Florence gegenüber ihrer Mutter, die von den beruflichen Plänen wenig begeistert war, energisch – ich zitiere: „Ja, tatsächlich bedarf es Pflegerinnen, die Kenntnisse haben, fundierte und vor allem auch hygienische, die der Liederlichkeit in Krankenhäusern ein Ende bereiten!“ Was meinen Sie, hätte Florence Nightingale zur Corona-Krise gesagt?

Es stimmt, viele Themen waren stets aktuell und sind es heute um so mehr. Florence Nightingale hat den Berufsstand der Pflege ins Leben gerufen und musste sich oft mit Herrschaften herumärgern, die meinten, Medizin gehöre ausschließlich in Männerhände. Das hat sich glücklicherweise geändert. Sie hat sich von Beginn an für eine qualitative Ausbildung der Pflegekräfte engagiert – das ist heute immer noch wichtig. Sie setzte viele Reformen durch, insbesondere im Bereich der Hygiene herrschte im 19. Jahrhundert überwiegend Unkenntnis. Sie setzte sich immer für menschenwürdige Behandlung jenseits von Status ein, ohne sich zu schonen. Auch wenn sie nicht unumstritten ist – ich glaube, viele Pflegekräfte kämpfen jetzt in ihrem Sinn an vorderster Front.

Zitat S. 141

Flo zeigt sich selbst überrascht, auf einmal so mutige Worte gefunden zu haben. In den letzten Tagen hat sie sich vermehrt darüber Gedanken gemacht, ob es in England doch auch wie z. B. in Deutschland möglich wäre, dass es in Krankenhäusern ordentlicher und menschlicher zugehen könnte als bisher. Erst wenn die Verachtung der Pflegedienste einer breiten Anerkennung derselben weichen würde, dann könnte die Krankenpflege auf fruchtbarem Boden Wurzeln schlagen. […]

 Aktuell sind pandemiebedingt kaum öffentliche Veranstaltungen möglich. Wie sehr trifft Sie das? Und welche Pläne haben Sie?

Mitten in das beginnende Interesse für mein Buch platzte die Corona-Krise. Nach Bitten um Werbematerial, Angeboten von Bibliotheken und Instituten, machte sich das sofort in einer schwächeren Nachfrage bemerkbar. Was mich freut: Der Leiter der Theodor-Fliedner-Stiftung hat das Buch gelobt und in sein Museum gestellt. Viele Optionen fielen den pandemiebedingten Beschränkungen zum Opfer, aber gemessen an allem größeren Leid will ich nicht klagen. Sobald es wieder möglich ist, wäre ich bereit, öffentlich zu lesen. Inzwischen arbeite ich an zwei weiteren Buchprojekten.

Danke für das Gespräch, alles Gute für Sie und bleiben Sie gesund!

Interview: Dagmar Möbius

Kontakt: christine-meiering[at]t-online.de

 

 

 

Christine Meiering, Katzenjahre der Florence Nightingale, Twentysix, ET 2019, 680 Seiten, Taschenbuch ISBN-13: 978-3740732073, auch als Kindle-Version erhältlich

 

 

 

veröffentlicht im Mai 2020

 

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