Teil I meines Interviews mit dem Vizepremier und letzten Innenminister der DDR, Dr. Peter-Michael Diestel, erschien bereits vor längerer Zeit. „Mit Widerstand viel erreichen“ titelte ich damals. Für meine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Thematik der examinierten Sprechstundenschwestern hatte ich die weiteren Folgen zurückgestellt. Doch die vor vier Jahren gemachten Aussagen des heute als Rechtsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern Tätigen sind zeitlos und nach wie vor aktuell. Und sie weisen nicht nur auf Versäumnisse der Wendezeit hin, sondern auch auf fehlende Berufsstrukturen in der DDR.
Teil II
Könnten redaktionelle Fehler des Einigungsvertrages Jahrzehnte später juristisch und politisch korrigiert werden?
Der Einigungsvertrag ist in der Tat mit heißer und schneller Feder geschrieben worden. Er ist ein klassisches, diplomatisches, völkerrechtliches Werk. Mit vielen Passagen. Man kann in einigen 100 Paragrafen nicht das gesellschaftliche Leben von zwei unterschiedlichen Staaten regeln.
Ich glaube, dass in der DDR die Lobbystrukturen für diesen Krankenschwesterberuf nicht entwickelt worden sind. Dr. Günther Krause, der Verhandlungsführer für die DDR für den Einigungsvertrag war, ist Mandant von mir seit vielen Jahrzehnten. Wenn ich es geahnt hätte, hätte ich ein Gespräch organisiert.
Ich bin mir sicher, dass es eine juristische Floskel im Einigungsvertrag gibt, die diesen Berufszweig akzeptiert hat. Es ist nicht im Interesse der Schöpfer des Einigungsvertrages, eine derartige Berufsausbildung mit einem so breiten Spektrum der medizinischen Praxis auszugrenzen, das war nicht die Absicht.
Und deswegen hatten wir in vielen Dingen, weil das Leben ja im Osten anders war als im Westen, Regelungen, die übergreifend waren. Rechtlich bin ich damit erst heute betraut. Einen Anspruch für die Benachteiligten hätte ich gerne durchgesetzt. Wenn es eine Benachteiligung nach dem Einigungsvertrag gibt, also jetzt 30 Jahre danach, ist das natürlich schwierig. Ich weiß gar nicht, ob es da auch Menschen gibt, für die das ein praktisches, aktuelles Problem sein könnte. Vielleicht in der sozialrechtlichen, rentenrechtlichen Anerkennung. Da könnte sich eine Notwendigkeit ergeben.
Fortsetzung folgt
Anmerkung:
Das BMG hat mir m Jahr 2020 schriftlich bestätigt, dass der Abschluss als examinierte Sprechstundenschwester weiterhin anerkannt ist. Obwohl dies nicht nur für mich gilt, zeigen Erfahrungsberichte, dass eine generelle Anerkennung längst noch kein Alltag, sondern der Beruf nach wie vor erklärungsbedürftig ist und ausgegrenzt wird.
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0831-031 / Settnik, Bernd / CC-BY-SA 3.0
Nach der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 31. August 1990 in Berlin geben sich die Verhandlungsführer, Staatssekretär Dr. Günther Krause (r.) und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l.), und DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere (M.) die Hand.
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