Teil VI meines Interviews mit dem Vizepremier und letzten Innenminister der DDR, Dr. Peter-Michael Diestel, beschäftigt sich mit möglichen Klagewegen, persönlichen (Fehl-)Entscheidungen und fehlender beruflicher Organisation.
Teil VI

Foto: ©Herr Direktor (2021)
Sprechstundenschwester.de interviewt Dr. Peter-Michael Diestel in seinem Arbeitszimmer.
Es gab nur sehr wenige examinierte Sprechstundenschwestern, die den Klageweg beschritten haben, um ihre Berufsanerkennung bzw. die Gleichstellung mit Krankenschwestern klären zu lassen. Mir sind drei Urteile bekannt, die alle abschlägig beschieden wurden. Woran liegt das? Geld, Einfluss, Prinzip?
Also, wenn Sie heute 12:00 Uhr Bauchschmerzen haben und zum nächstgelegenen Arzt gehen, hat das den großen Vorteil, Sie müssen nur 500 Meter laufen. Aber er hat einen schlechten Ruf, er hat eine schlechte Ausbildung und er ist nicht für mich und möglicherweise auch gar nicht für Bauchschmerzen qualifiziert, weil er ein Sportarzt ist. Dann sind Sie verantwortlich für die falsche Entscheidung, die Sie getroffen haben, nämlich den nächstliegenden Arzt aufzusuchen.
Suchen Sie die beste Chance auf einen Rechtsanwalt, ist es genauso. Sie müssen dazu wissen, dass meine Berufskollegen und ich immer auch verdienen. Ob Sie den Prozess gewinnen oder verlieren, ist völlig unwichtig. Die Gebühren kommen auf jeden Fall. Da muss man sich eben Gedanken machen, wo man hingeht. Die Berufsgruppe der Sprechstundenschwestern hinsichtlich der Anerkennung ihrer Lebens-, Arbeitsleistung und auch ihrer Ausbildung nicht anzuerkennen, ist Frevel. Das ist völkerrechtlich, staatsrechtlich abzulehnen und dagegen muss vorgegangen werden. Und dagegen kann man auch vorgehen.
Anderen Berufsgruppen wurde auch geholfen. Ich habe Tierärzten und anderen Berufsgruppen bezüglich Anerkennung geholfen. Wo man gesagt hat, dass angeblich eine Lücke im Gesetz des Einigungsvertrages ist. Nein, es gab keine Lücke im Gesetz. Wir haben Übergangsbestimmungen, Paragrafen, Artikel gehabt, die etwas Derartiges auffangen. Aber möglicherweise ist die Qualität des Widerstandes der Bedürftigkeit für diese Menschengruppe nicht angemessen gewesen.
In Deutschland sind keine Sammelklagen erlaubt. Zumindest bis dato. Würde das aus juristischer Sicht etwas ändern?
Nein. Es müssen keine Sammelklagen sein. Es gibt auch Klagen eines Verbandes. Oder man hätte sich in Form einer juristischen Person organisieren können. Auch Einzelne mit einer sehr vitalen Berufsentwicklung könnten klagen. Man müsste das mit Begleitung der deutschen Medien machen, die das sicherlich auch unvoreingenommen betrachten würden. Das, worüber wir jetzt reden, ist im Prinzip das, was wir heute erleben. Es werden trotz größten Bedarfs Kliniken geschlossen. Wir erfahren immer wieder, dass die Intensivstationen überfüllt sind. Es stimmt alles. Alles gelogen. Die Intensivstationen sind halbiert, weil man nur für die Hälfte der Intensivstationen Spezialkräfte hat. Die andere Hälfte ist völlig ausgeschaltet, kann aber aus Personalmangel nicht arbeiten. Und wenn man dann eine so große und hochqualifizierte Gruppe Krankenschwestern ausgrenzt, muss man sich nicht wundern.
Das ist gesundheitspolitisch Dilettantismus, so wie in der aktuellen Zeit unsere Obrigkeit mit dieser großen Herausforderung umgeht. Das kann ich nur als Dilettantismus, als Hilflosigkeit, bezeichnen. Man kann mit den Menschen, so wie es geschieht, nur umgehen, wenn man sie hasst. Wenn man das Ergebnis sieht, dass in diesem Land die Mittel gegen Corona entwickelt wurden, die deutsche Wissenschaftler mit deutschen Fördermitteln entwickelt haben und die Deutschen die allerletzten sind, die davon profitieren können, geimpft zu werden. Und die Länder, in denen die Corona-Leugnung ganz große Karriere hatte, auch in Israel, den Vereinigten Staaten und England, die wirklich lange, lange Monate verschlafen haben, sind im Impfprozess weiter. Und bei uns werden errichtete Impfstationen geschlossen und man sagt, das ist ein völlig normaler Prozess. Ich glaube schon, dass in der Gesundheitspolitik in Deutschland – ich war viele Jahrzehnte Aufsichtsratsvorsitzender von großen Klinikkonzernen – extrem viel falsch gemacht wurde und wie unser Interview zeigt: Es gibt auch noch viel, was falsch gemacht wird.
Mal angenommen, die hier beispielhaft stehende Berufsgruppe der Sprechstundenschwestern oder andere Gesundheitsfachberufe, deren fachspezifische DDR-Weiterbildungen nicht anerkannt werden, würden heute klagen. Gegen wen?
Also was hat das jetzt noch für eine rechtliche Bedeutung? Es kann nur eine sozialrechtliche, rentenrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Bedeutung haben und dann müsste man gegen den Versorgungsträger klagen, der das nicht anerkennt. Man müsste eine oder mehrere gut ausgebildete Betroffene finden und müsste das juristisch untersuchen.
Auch medizinhistorisch. Wo sind sie ausgebildet worden? Was hat diese Ausbildung ausgemacht? Was war die Voraussetzung für diese Ausbildung? Oft war die Voraussetzung Abitur oder mindestens eine sehr gute 10. Klasse. Und dann zu sagen; „Ihr habt zu viel Marxismus-Leninismus gehabt.“, das ist Schwachsinn. Ich kann dazu einfach nicht sagen.
Diese Berufsabbrecher, diese vielen Leute, die in der Politik heute als Lehrer für die Ausbildung an Kindern zu dumm gewesen sind, als Anwälte nichts verdient haben, deswegen in die Politik gehen mussten oder als Berufsabschluss Schulabbrecher haben. Wie viele? Viele, die da rumsitzen.
Die eben diesen schwierigen Weg, den diese Schwestern gegangen sind, nicht gehen konnten, aus intellektuellen Begabungen heraus nicht gehen konnten. Und deswegen finde ich es traurig, dass sich diese Berufsgruppe nicht wehrt. Wer sich nicht wehrt, kann auch nicht gewinnen. Also man muss Widerstand leisten, man muss kämpfen und das tut auch weh manchmal. Aber es macht auch Spaß, wenn man dann sieht, dass die Dummheit eben nicht ganz so allumfassend präsent ist, wie ich das eben gesagt habe.
Anmerkung:
Das Interview wurde im Februar 2021, also mitten in der Corona-Pandemie, geführt.
Fortsetzung folgt